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Opfer–Männer–Täter?

Der ‚Generalverdacht‘ und seine Folgen für Teams und Träger
Von Hilke Falkenhagen

Argumente für eine Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Generalverdacht’

Wozu das gut sein soll? Bei euch gibt’s keinen ‚Generalverdacht’ gegenüber Männern, geschweige denn konkrete Verdachtsfälle? Noch mal zur Erinnerung: Der ‚Generalverdacht’ ist ein unbegründeter und generalisierter Verdacht gegenüber allen Männern, der unterstellt, dass sie Kinder sexuell belästigen oder missbrauchen und u.a. deshalb gern in Bereichen tätig sind, wo sie mit Kindern zu tun haben. Der ‚Generalverdacht’ existiert also unabhängig von einem konkreten Verdacht, kann jedoch aus meiner Sicht nicht losgelöst von tatsächlich vorkommenden Missbrauchsfällen sowie deren Ursachen und Hintergründen verstanden und aus der Welt der geräumt werden. Folgende Argumente können eine Auseinandersetzung mit dem ‚Generalverdacht’ begründen:

1) Nicht nur aus der öffentlichen Debatte, sondern auch aus unserer Beratungstätigkeit im DaKS wissen wir, dass Kinder Opfer werden von Missbrauch und sexualisierter Gewalt, auch in Kinder-und Schülerläden. Statistisch nachweisbar ist bislang, dass die Mehrheit derjenigen, die Kinder missbrauchen, Männer sind. Der Anteil von Frauen liegt immerhin bei 18-20%, Tendenz steigend. Der ‚Generalverdacht’ beruht also auf tatsächlichen Missbrauchsfällen durch wenige (vor allem) Männer, die als Vorurteil verallgemeinert und auf alle Männer übertragen werden. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema ist dringend nötig, um einerseits Kinder vor Gewalt und Missbrauch, andererseits Männer vor dem unbegründetem Verdacht einer potenziellen Täterschaft zu schützen.
2) Aus unserer Beratungstätigkeit und eigenen Erfahrungen wissen wir, dass es auch in Kinderläden männliche Erzieher gibt, die unter ‚Generalverdacht’ gestellt werden. Dies hat erhebliche Folgen für die pädagogische Arbeit in diesen Einrichtungen (siehe letzter Infobrief), aber auch für die Entscheidung der Träger, Männer als Erzieher im Elementarbereich einzustellen.
3) Die Erfahrungen in der Aufarbeitung und Dokumentation von Missbrauch und sexualisierter Gewalt zeigen, dass insbesondere unklare Strukturen und Institutionen – und dazu zählen zum Teil auch kleine, ideengeleitete Kinder-und Schülerläden – potenziellen Tätern Raum für Gewalt und Verletzungen an Kindern geben. Verdacht ist also berechtigt, nicht jedoch allgemein Männern gegenüber, sondern Strukturen und Institutionen, die nicht transparent arbeiten und über keine klaren Regelungen und Konzepte zur Gewaltprävention, zum Umgang mit Verdachtsfällen oder aber dem ‚Generalverdacht’ verfügen.
4) Die Rechte, die Würde und der Schutz von Kindern fordern, dass alle, die im pädagogischen Feld tätig sind, geeignete Konzepte und Instrumente zur Prävention von jeder Art Gewalt, Verletzung und Demütigung von Kindern entwickeln und anwenden. Dazu gehören neben einem Schutzkonzept der Kinder auch ein Konzept zum Umgang mit Verdacht und ‚Generalverdacht’, damit sich Kinder und Erzieher/innen in der Einrichtung wohl und sicher fühlen können und die Zusammenarbeit von Männern und Frauen im Team auf Augenhöhe stattfinden kann.

Wer oder was sollte unter Verdacht stehen?

Manch eine/n unter uns mag die Frage beschäftigen, was eigentlich Menschen dazu bringt, Kinder zu missbrauchen oder andere Gewalt ihnen gegenüber anzuwenden. Wer sind die Täter und Täterinnen, die Befriedigung daraus ziehen, andere zu verletzen und zu demütigen?

Macht und Abhängigkeit sind nach allen Erfahrungen und Erkenntnissen zu diesem Thema die zentralen Themen, um die sich Gewalt gegenüber Kindern dreht. Sexualisierte Gewalt ist dabei nur eine von vielen gewaltsamen Verletzungen der kindlichen Würde und Intimsphäre. Auf der Suche nach den Motiven von Tätern und Täterinnen führt kein Weg vorbei an der Frage, was die Motivation von Menschen ist, die den Erzieherberuf wählen – einen Beruf, der sozial kaum anerkannt und schlecht bezahlt ist, zudem kaum Aufstiegschancen bietet? Eine Frage, mit der sich jede/r von uns selbst und im Team auseinandersetzen sollte.

Eine zweite wichtige Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die nach den Strukturen, die es Tätern und Täterinnen ermöglichen bzw. erleichtern, Raum für Übergriffe und Grenzverletzungen zu finden. Allen bisherigen Erfahrungen und Untersuchungen zufolge zeichnen sich Strukturen, die Gewalt und Missbrauch ermöglichen, u.a. aus durch:

- Fehlende Streitkultur: Eine Konfrontation mit Grenzverletzungen in der pädagogischen Arbeit findet im Team nicht oder zu wenig statt. Aus Angst vor Auseinandersetzung nimmt man auch mal hin, dass ein Kind angeschrien oder in die Ecke gestellt wird.
- Fehlende Transparenz über Entscheidungswege: Unklar ist, wer wie worüber welche Entscheidungen trifft. Das führt z.B. zur Einstellung von Mitarbeiter/innen ohne klare Abstimmungsprozesse sowie dafür notwendige Kriterien und Stellenbeschreibungen.
- Fehlende Zuständigkeit für neue Entwicklungen: Es gibt Tabuthemen, mit denen man sich im Team nicht auseinandersetzt. Niemand bringt Impulse oder Ideen ein, wie man sich gemeinsam problematischen Themen nähern kann. Stattdessen werden sie unter den Teppich gekehrt – und dafür gibt es viele Möglichkeiten.

Dies sind nur einige Voraussetzungen, die beschreiben, unter welchen Bedingungen Täter und Täterinnen aktiv werden können. Wichtig zu wissen ist darüber hinaus, dass die Taten in der Regel lange vorbereitet werden. Täter und Täterinnen sorgen dafür, dass sich das Team in Sicherheit wiegt und die Kinder Vertrauen entwickelt haben. In der Regel macht es diese gute Situierung von Tätern und Täterinnenschwieriger, möglicherweise vorhandenes Misstrauen anzusprechen. Die Opfer sind häufig emotional unsichere Kinder, die glauben, dass Erwachsene immer recht haben und sich nicht trauen, das Verhalten des Täters oder der Täterin offen in Frage zu stellen.

Der Prozess des Einnistens der Täter und Täterinnen dauert in der Regel ein halbes bis ein Jahr, in dem es bereits deutliche Anzeichen und Signale gibt, die hätten angesprochen werden können und müssen. In einer Umgebung und Kultur jedoch, in der Konfrontation und Streit eher unterdrückt werden, Entscheidungswege und –prozesse nicht transparent und Zuständigkeiten für schwierige Themen ungeklärt sind, gibt es meist niemanden, der den Mut dazu hat.

Verdächtig sollten uns also nicht Männer und Frauen sein, sondern Institutionen und Strukturen, die kritisches Hinterfragen und die verhindern und in denen Entscheidungsprozesse und –zuständigkeiten nicht transparent sind.

Wie weiter? –Schlussfolgerungen

Was bedeuten diese Überlegungen in Hinblick auf die weitere Arbeit von Teams und Vorständen in Kinder-und Schülerläden sowie für unsere Arbeit im Dachverband dieser zum Teil ‚verdächtigen’ Strukturen?
1) Wir sollten Macht und Abhängigkeit in den Blick nehmen, wo immer wir sie wahrnehmen, und sie als möglichen Teil unserer Teamkultur thematisieren und reflektieren. Unterstützend können Teamentwicklungsprozesse dazu beitragen, Rollen und Verhaltensweisen im Team zu erhellen und zu verändern. Externe Begleitung, zum Beispiel in Form regelmäßiger Supervision, ist dafür unerlässlich.
2) Wir sollten Konflikte ansprechen und bearbeiten, wo immer sie uns begegnen, im Team, mit Eltern, Trägern und im Umgang mit den Kindern. Wenn wir Angst haben, ein Thema anzusprechen, hat esoft damit zu tun, dass es Tabus gibt, an denen niemand gern rühren möchte. Gerade hier sollten wir genau hinschauen und den Mut haben, diese Themen ans Licht zu bringen.
3) Wir sollten für klare und transparente Entscheidungswege und –strukturen in Teams und Vorständen sorgen, Aufgabenverteilung und Zuständigkeiten klären und deren Erfüllung bzw. Einhaltung überprüfen. Die Fachberatung im DaKS bietet externe Unterstützung an, um eine funktionierende und qualitätsvolle Arbeitsweise in Kinder-und Schülerläden zu entwickeln.
4) Wir sollten Augen, Ohren und Mund aufmachen, wenn wir wahrnehmen, dass ein Kollege oder eine Kollegin ein Kind beleidigend, demütigend oder übergriffig behandelt. In diesem Fall müssen wir die Loyalität im Team aufgeben und dem Kind sagen: ‚Das war nicht in Ordnung!’ Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Kinder –und das beginnt mit gewalttätigen Worten oder Gesten –verunsichert, eingeschüchtert oder gedemütigt werden.
Wenn wir für eine Teamkultur sorgen, in der all dies gelingen kann, sind dem Boden für Misstrauen und Gewalt die wichtigsten Nährstoffe entzogen und Voraussetzungen dafür geschaffen, um sowohl Kinder vor Übergriffen als auch Männer vor ‚Generalverdacht’ zu schützen. Als Fachberatung und Projektteam ‚Männer in Kinderläden’ unterstützen und beraten wir euch gern!

Erstmals erschienen im 5. Infobrief "Männer in Elterninitiativen und Kinderläden" des Projektstandorts Berlin, März 2012